Nürnberger Immobilien Börse
Veranstaltung Ausstellung in der Kunstvilla

„Naturstoff / Kunststoff“

veröffentlicht am: 01.12.2022

Die Ausstellung „Naturstoff / Kunststoff. Materialität in der Nürnberger Kunst“ ist von Samstag, 3. Dezember 2022, bis Sonntag, 11. Juni 2023, in der Kunstvilla im KunstKulturQuartier, Blumenstraße 17, zu sehen.

Sie greift ein aktuelles Thema auf: der Verbrauch an Plastik und vor allem der daraus entstehende Müll bedroht die Ökosysteme und ist dadurch in Verruf geraten.

Jedoch stellt Kunststoff in seinen verschiedenen Formen ein bedeutendes Material zeitgenössischer Kunst dar, ebenso wie Naturstoffe, beispielsweise Wachs, Schellack und Grünspan, Eingang in die Kunst finden.  

Über Jahrhunderte waren Tempera und Öl für die Malerei sowie Holz, Bronze und Stein für die Bildhauerei die gebräuchlichsten Materialien und sind es im allgemeinen Bewusstsein noch heute. Jedoch fand in den letzten 70 Jahren ein tiefgreifender Wandel in den Ateliers statt. Kunststoffe haben eine beispiellose Karriere gemacht. Zunächst vornehmlich als Ersatzstoff eingesetzt, gewannen sie durch ihre vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten rasch an Eigenwert. Daneben wuchs das Interesse an der Verwendung von Naturstoffen.

Die Ausstellung „Naturstoff / Kunststoff. Materialität in der Nürnberger Kunst“ spürt dem Verhältnis von Kunst und Natur sowie dem verwendeten Material als Bedeutungsträger anhand von rund 50 Werken von 14 Künstlerinnen und Künstlern nach.  

Im Eingangsfoyer setzt die 2020 datierte Assemblage „Strandgut“ von Hubertus Hess (Jahrgang 1953) ein markantes Zeichen und verweist auf die komplexe Gegenwart, in der der Naturbegriff ins Wanken geraten ist. Die Weltmeere gelten nicht nur als Indikatoren für den Klimawandel, sondern sind als lebenswichtiges Biotop inzwischen so verschmutzt, dass Strände als Sehnsuchts- und Urlaubsorte ihre Unschuld verlieren. Der zentrale Ausstellungsraum vereint Werke von Joachim Kersten, Achim Weinberg und Fred Ziegler, die verschiedene Spielarten von Materialität und künstlerischer Praxis zeigen.

Joachim Kersten (Jahrgang 1953) erzeugt mit Acryllasuren, die er mit Schellack, Kupfer und/oder Grünspan überarbeitet, Farb- und zugleich Formwelten auf der Leinwand und als Skulptur. Im Zusammenspiel von Natur- und Kunststoffen ist das künstlerische Handeln zwischen Zufall und Steuerung angesiedelt. Das Thema Transparenz war für Achim Weinberg (Jahrgang 1969) der Anlass, sich mit Kunststoffen zu beschäftigen. Auf eine Werkgruppe aus Plexiglas folgten Arbeiten mit elastischen Silikonschläuchen, die gewickelt wie organisch gewachsen erscheinen. Teils mit Honig gefüllt verbinden sie sich zugleich mit einem Naturstoff, dem als Nahrungsquelle eine Heilwirkung und spirituelle Kraft zugerechnet wird.

In der Tradition der Nouveaux Réalistes steht dagegen Fred Ziegler (Jahrgang 1953), wenn er mit Abfallprodukten der Kunststoffindustrie arbeitet und sie zur Kunst erklärt oder aber Plastikfolien collagiert und in seinen gelben Kosmos einordnet.

Der Rundgang wirft zunächst einen Blick auf die Pioniere, die seit den 1960er-Jahren das gemalte Tafelbild und die gegossene oder gemeißelte Skulptur über die Verwendung vielfältiger Materialien revolutionierten. Franz Vornberger (1919-2008) und Max Söllner (1929-2003) nahmen kunst-fremde Werkstoffe wie Gips und Sand in ihre Materialbilder auf und gelangten zu neuen Bildaufbauten, die durch die Vielschichtigkeit assoziativ wirken.

Beide stehen in der Tradition der Arte povera, in der „ärmliche“, kunstfremde und zugleich alltägliche Materialien erstmals Kunststatus erhielten. Parallel zur Plastifizierung des Alltags erwiesen sich Kunststoffe zunehmend attraktiv für Bildhauerinnen und Objektkünstler. Der Altdorfer Maler und Bildhauer Hermann Frauenknecht(1929-2010), der zunächst mit Holz arbeitete, fertigte zwischen 1966 und 1982 seine Plastiken mit Polyester, das eine einfache und kostengünstige Vervielfältigung als Multiple möglich macht.

Im Schaffen der in Berlinlebenden Performance-Künstlerin Charlotte Buff (Jahrgang 1942) nehmen Textilien eine bedeutende Rolle ein. Ihre „Körperhüllen“ aus Stuccolustro– glänzendem Stuck – auf Nessel und Polyester, die ab Ende der 1970er-Jahre datieren, erscheinen wie Häutungen.  

Mit Werken von Fred Ziegler, Karin Blum und Hubert Baumann wird im nächsten Ausstellungsraum der Bogen geschlagen zu einer Kunstpraxis ,die den Materialmix im eigenen Schaffen zur Maxime erklärt. Karin Blum(Jahrgang 1947) und Hubert Baumann (Jahrgang 1949) verwenden Stoffe, Naturalien wie Artefakte, die ihrem direkten Lebensumfeld entstammen. Während Blum in ihren Collagen Elemente aus Astralonfolie, Kunststoff und Acryl sowie Leder und Holz zu rätselhaften Sinnbildern verbindet, gestaltet Baumann bevorzugt Altäre und Stelen, indem Natur- wie Kunststoffe zusammengeführt werden.  

In der Nachfolge des Malers und Objektkünstlers Marcel Duchamp (1887-1968), der Alltagsgegenstände im Kunstkontext platzierte, arbeitet Reiner Bergmann (Jahrgang 1950), der sich von Fundstücken zu seinen Leuchtkästen inspirieren lässt. Sind die mit Plexiglas ausgestatteten Leuchtkästen der Serie „Flair“ von 1994/98 Landschaftseindrücken gewidmet, verdeutlichen die 2001 datierten „Reinigungslichter“ anhand des Produktdesigns von alltäglichen Utensilien die vorherrschende Wegwerfmentalität.

Auch die siebenteilige Arbeit „horizonte“ (2022) der konkreten Künstlerin Gisela Hoffmann (Jahrgang 1963) besteht aus Plexiglasplatten, die jedoch eigens geschnitten und gestrahlt wurden. Über die optische Zweiteilung des Materials wird die Assoziation von Horizontlinien erzeugt. 

Im letzten Ausstellungsraum stehen Kunststoffe als Derivate natürlicher Stoffe im Vordergrund. Die Künstlerin Inge Gutbrod (Jahrgang 1963)arbeitet mit eingefärbten Paraffinplatten als künstlichem Wachsersatz, im übertragenen Sinn mit Farbe, Form und Licht. Zu Rauminstallationen vereint spielen Gutbrods Arbeiten mit der Dichte des Materials und seiner durch Licht erzeugten Transparenz. Auch Barbara Engelhard (Jahrgang1974) setzt auf weit verbreitete Materialien, die sie in farbkräftigen Varianten ausfindig macht. Im Wort Kunstrasen steckt noch der natürliche Ursprung, der bei Engelhard in poppigen Farben zur Rauminstallation umgewidmet wird.  

In der Kunst der vergangenen Jahrzehnte machten Kunststoffe eine beispiellose Karriere. Zunächst vornehmlich als Ersatzstoff eingesetzt, gewannen sie durch ihre vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten rasch an Eigenwert. Daneben wuchs das Interesse an der Verwendung von Naturstoffen.

Der scheinbare Gegensatz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit löst sich auf, wenn man die die verwendeten Stoffe auf ihre Entstehung und auf ihre Beschaffenheit bezieht. Während bei den Naturstoffen Änderungsprozesse im Vordergrund stehen, halten Kunststoffe vor allem den Augenblick fest. Innerhalb einer bildmächtigen Gegenwart setzt die Kunst in beiden Fällen auf Materialität und nicht reproduzierbare Stofflichkeiten. Auf diese Weise behauptet sie ihren unverzichtbaren Beitrag zu einer Welterkenntnis, die den komplexen Realitäten gerecht wird.     qui

Weitere Informationen unter kunstvilla.org


Bildquelle(n): Reiner Bergmann, Flair III, 1994 / 1998, Plexiglas, Leuchtstoffröhren und Aluminium, Sammlung Kunstvilla | Annette Kradisch / Kunstvilla